Thesen über Literatur

(logisch gewonnen aus dem Studium des Exzerpts der Aussagen von Marcel Reich-Ranicki)


Literatur wird definiert, indem ihre überragend belesene Elite dem Pöbel erklärt, was keine sei.

Literatur lebt vom Risiko des Literatur Schaffenden, zu wagen, was noch niemals dagewesen ist.

Literatur entsteht, indem Marcel Reich-Ranicki einem Text bescheinigt, keine 'Konfektionsware' zu sein.

Literatur wird nicht verhindert, wenn Sigrid Löffler einem Text bescheinigt, 'Konfektionsware' zu sein.

Literatur stirbt, wenn es niemanden gibt, der das Erbe von Reich-Ranicki antritt.


Bücher wird es aber trotzdem weiterhin geben, denn es gibt Menschen, die Bücher schreiben. Michael Köhlmeier ist ein Mensch, der Bücher schreibt. Er redet auch manchmal. Bei einer solchen Gelegenheit kommentierte er den Ingeborg-Bachmann-Preis mit einem Epitaph für Jörg Fauser. Denn es kann nichts anderes gewesen sein, als eine verspätete Grabinschrift für seinen Freund an genau dem Ort, an dem Fauser von Reich-Ranicki und dessen Schöffen die Achillessehnen durchgeschnitten worden waren.


Damit sich die Belege für die Thesen über Existenz und Vakuum der Literatur zu den Sätzen oben fügen, lege ich hier Funde einer archäologischen Dimension ab auf dem Boden, der Dantes Inferno von dem Fegefeuer trennt, das den reinen Geist der Kunst – und was ist an der Kunst schon rein? - zum Aschenhaufen läutert. Es muss nicht jedem alles, was geschrieben wird, gefallen. Aber kann sich jeder aussuchen, was er gern liest, wenn mächtige Instanzen kontrollieren, welche Werke Absatz finden? Da ein Verlag nur leben kann, wenn sein Programm mit Preisträgern bestückt ist, wird die Teilnahme an Wettbewerben zu dem Zwang, der Literatur Schaffende zum Spuren bringt und Geistes Land wird durch die Kritiker der Konfektion zur Konfektion eines dieser Kritik gefälligen Pseudononkonformismus.


Skript der Eröffnungsrede von Michael Köhlmeier in Klagenfurt am 3. Juli 2013

Video der Eröffnungsrede von Michael Köhlmeier in Klagenfurt am 3. Juli 2013


Video mit Jörg Fausers Lesung vor dem Klagenfurter Literaturgerichtshof im Jahre 1984

Video mit der Verhandlung über den Text im Klagenfurter Literaturgerichtshof (1984)

Video zur Deutungsbreite der Kategorie Literatur nach persönlichem Geschmack der Richter (2000)

Video zur Kategorisierung der Bedeutung von empfundener Ehrlichkeit im Rezeptor (1983)

Video zur These, die Kriterien seien den Kritikern verstorben und Literatur nun frei (2012)


Eine Kommentierung der Fundstücke braucht es nicht, sie sprechen für sich gut genug. Anregen kann man vielleicht aber doch, sich ernsthaft eins zu überlegen: Was macht uns so versessen, eine Autorität zu zitieren, wenn wir Leute überreden wollen, ganz bestimmte Wertungen über das Werk von andren Menschen blind zu übernehmen? Beispiel: Was hat den Karasek dazu getrieben, der Sigrid Löffler deren Argumente mit dem Hinweis zu parieren, dass der von ihr so ungeliebte Autor in Amerika von Journalisten als zukünftiger Nobelpreisträger gehandelt wird? Dasselbe, das den König gern von Gottes Gnaden reden lässt. Und daher kommen alle Urteile: aus dem Nirwana der Gehirne ganz normaler Menschen, die sich einen Ruf besorgen, um damit diejenigen mit leiseren Rufen zu übertönen. Und es gibt Menschen mit der Fähigkeit, vieles zu sehen, das mir hilft, die Welt besser zu verstehen: Bildhauer, Chemiker, Dichter, Physiker, Musiker, Mathematiker, Handwerker und Maler. Und Essen macht der Bauer. Und ob mir schmeckt, was jemand kocht, beurteile ich durch Probieren. Und manchmal schmeckt es und ich werde danach krank davon, das ist der Reiz dabei, dass alles offen ist und jedes meiner Urteile ein Irrtum sein kann.